SdJ Unterfranken:
Gruppe Marktheidenfeld
Bericht in der MAINPOST

mainpost, 13.12.13


Am 13.12.2013 erschien in der Tageszeitung "Mainpost" ein lesenswerter Artikel über die Sudetendeutche Jugend Marktheidenfeld. Er war mit relativ vielen Bildern aus dem Gruppenleben illustriert

Dank der Genehmigung von Herrn Roland Pleier, dem Autor des Berichtes und stellvertretenden Redaktionsleiter der MAINPOST können wir den Bericht und die Fotos hier zeigen.

Im Folgenden sehen Sie eine Reproduktion des Textes.
Die Bilder mit den entsprechenden Bildunterschriften erreichen Sie über den Verweis am Ende des Textes.



Marktheidenfeld

Erinnerungen an die
Sudetendeutsche Jugend:
Main gegen Lager, so hieß es

Sie waren Kinder oder Babys, als sie kamen. Der Zufall würfelte sie zusammen, das Schicksal einte sie. Als Jugendliche wuchsen sie zu einer Gemeinschaft -- und wurden über den Sport integriert.

Eines Tages im Oktober 1944 stand ein Tscheche vor der Tür und sagte zu seiner Mutter: "Morgen bist Du weg". Das war´s. Aus dem drei Monate alten Baby Horst wurde ein Heimatvertriebener. Der Viehwagen spuckte ihn und seine Familie Tage später in Rothenfels aus. Hunderten, Tausenden, ja zwei Millionen von Deutschen aus dem Sudetenland erging das so. Sie wurden verteilt auf die Dörfer und Städte. Horst Gruner wuchs in Rothenfels auf, bis er als Achtjähriger mit seiner Familie in den Neubau des Heimstättenwerks am Adenauerplatz nach Marktheidenfeld zog.

Main gegen Lager. "Da sind scho´mal die Dreckbolle g´floge´", deutet Hruschka die Rivalität der damaligen Fußballer-Gruppen an, die nicht nur auf dem Platz ausgetragen wurde. Horst Gruner grinst, wenn er davon erzählt. "Ich konnte es mir aussuchen, wo ich mitspielte, hab mich immer auf die Seite der Stärkeren geschlagen."

Bei Karl Hruschka war es klar: Der kleine Karl, vier Jahre älter als Horst, war als Sechsjähriger im Lager gestrandet. In jenem Barackenlager also, das 1943 für ausgebombte Düsseldorfer gebaut worden war, in dem die US-Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg Kriegsgefangene untergebracht hatten. Hruschka war einer der über 300 Menschen, die in den elf Baracken lebten. 70 Kilo durfte seine Familie mitnehmen. Die Kiste, in die sie ihr Hab und Gut packten, hat er heute noch. Auch den Hobel, den sein Vater selbst gemacht hatte, dessen Zimmermannssäge. Was er nicht in die Kiste gepackt hatte, hatte er zuhause in der Scheune verbuddelt. "Wir waren ja der Meinung, wir kommen in ein, zwei Jahren wieder. " Es kam anders. Der Sudetendeutsche mit dem tschechischen Namen wurde Marktheidenfelder, dann Erlenbacher.

Gruners Vater blieb in Russland vermisst, Hruschkas Vater hatte dort seine beiden Beine verloren. Das Schlimmste für ihn als Bub sei gewesen, so Hruschka, dass die Verwandtschaft auseinandergerissen wurde. Sie lebt heute verstreut im Bayerischen Wald, im Schwarzwald und eben am Rande des Spessarts.

"Da kommt wieder der Grumpernkäfer." Ja, auch seine Mutter sei nachts hinaus, um Kartoffeln zu klauen, "damit man was zu beißen hatte," erzählt Gruner. Er als Kind sei mit solchen Sprüchen locker umgegangen. "Die Mutter hat mehr darunter gelitten."

Auch im Lager reichten die Essensmarken nach dem Krieg hinten und vorne nicht aus. Auch Karl Hruschka hörte von den Schiffischen: "Da hinten wohnen die Zigeuner." Doch die Jungs vom Lager wuchsen und hielten dann auch zusammen. Sie hatten eine eigene Fußballmannschaft, kickten unten am alten Festplatz. Treffpunkt Telegrafenmasten: das war einer der Torpfosten dort.

Sigi Held, Jahrgang 1942 und damit genau zwischen Hruschka und Gruner geboren, war auch dabei. Der war ein guter Spieler -- aber arrogant, hat ihn Gruner erlebt. "Der war sehr schnell, hat unheimlich Antrieb gehabt," erinnert sich Hruschka. Mit den Jahren wurden aus Gegnern Mannschaftskameraden beim TV Marktheidenfeld. Bis Hruschka zu der Mannschaft stieß, stand Held im Tor. Dank Hruschka also wechselte Held in die Sturmspitze -- ehe er dann als 17-Jähriger nach Offenbach wechselte und später eine internationale Karriere machte.

Und Gruner war dabei, als der Wolfs August 1957 die erste Schülermannschaft beim TV aus der Taufe hob, die ihr erstes Spiel gegen Lengfurt in viel zu großen Trikots der zweiten Mannschaft bestritt und drei Jahre lang ungeschlagen blieb. Da waren die Sudetendeutschen gegenüber den Einheimischen sogar in der Überzahl.

Aber auch abseits des Fußballplatzes steckten die Sprösslinge der Sudetendeutschen zusammen. Lehrer Beck holte sie zur Sudetendeutschen Jugend (SdJ), die er 1950 in Marktheidenfeld gegründet hatte. Sie waren dabei beim ersten Sudetendeutschen Tag in Nürnberg, trafen sich wöchentlich im Sängerheim zum Singen und Tischtennisspielen sowie zum Biertrinken in der Krone in der Mitteltorstraße. Sie traten auf mit Pfadfinder-ähnlicher Kluft, machten Busreisen nach Südtirol und Frankreich, radelten zum Zelten zur Holzmühle bei Holzkirchen oder in den Wachengrund bei Windheim.

An Wochenenden ging´s zum Tanz auf die Dörfer. Hruschka noch zu Fuß nach Glasofen oder Lengfurt. "Wir hatten´s da schon besser," macht der vier Jahre jüngere Gruner deutlich "mit dem Fahrrad oder Moped."

Nicht überall waren die Hädefelder willkommen. In Esselbach etwa bauten sich die Einheimischen drohend vor dem Tanzsaal auf. Hruschka und seine Kameraden drehten wieder um: "Sonst hätten wir unser Schläg´gekriegt," ist er sich sicher. "Das war früher extrem beim Tanz." Diese Animositäten hatten jedoch weniger mit ihrer Herkunft zu tun, sind sich die beiden Sudetendeutschen einig. Eher seien es Versuche der Dorfjugendlichen gewesen, ihre Mädels vor Fremden zu schützen und für sich zu gewinnen. Nach dem Motto: Des is´eine vo´do -- die kriegt ihr nicht.

Bei der Partnersuche fündig geworden sind Gruner und zwei seiner Freunde in Hafenlohr. Hruschka heiratete 1968 nach Erlenbach. Der gelernte Zimmerer, der dann 20 Jahre bei der Gerberei Wiesner arbeitete, wurde 1981 Wirt. Zusammen mit seiner Frau riss er das alte Gasthaus zum Schwan ab, baute innerhalb eines Jahres ein neues Haus und betrieb das 26 Jahre lang.

Gruner lief ein Jahr später in den Hafen der Ehe ein. Er lernte Großhandelskaufmann bei Warema und baute dort ab 1970 -- damals noch mit Lochkarten -- die EDV auf.

SdJ-Gründer Karl Beck starb, die ehemaligen Jugendlichen gründeten Familien, kaum einer noch wollte die jährlichen Sudetendeutschen Tage an Pfingsten besuchen. "Was soll ich da?," rechtfertigte sich Hruschka gegenüber seinem Vater. "Ich kenn doch keinen mehr. Für mich sind das fremde Leut´." Um 1967 herum war Schluss mit der Gruppe. Für die nächste Generation ist die Sudetendeutsche Jugend nur noch Geschichte.


Verweis:
zu den Bildern hier klicken!
 



    Home