Winterlager der SdJ Hessen
26. 12. 1958 bis 06. 01. 1959
im Gunzesrieder Tal bei Sonthofen im Allgäu.


Der Pfeil berichtet in seiner Nummer 2/ 1959

Überschrift

"Keinen Funken Schnee ihr zu sehen bekommt" orakeln unsere erhabenen Experten und ziehen diesmal nicht mit den Kleinen zum Winterlager in die Allgäuer Hügel, sondern stolz ins vielgepriesene Bonzenlager.

"Dann gehen wir eben Blümchen pflücken" erwidern wir trotzig.

"Nichts da", frohlocken die Propheten, "im Allgäu wird es zwei Wochen lang regnen".

Bei solchen Unkenrufen zerfließen langsam unsere Träume von herrlich verschneiten Berghängen.

Ski-Salat

In der Natur scheint es aber noch Wunder zu geben, das Wetter hält sich offenbar nicht immer an die Vorhersagen. Wir, dreißig Mädel und Jungen aus Frankfurt, müssen durch tiefen Schnee zur Hütte emporsteigen.

Die Begeisterung für den unerwarteten Schneefall ist so groß, daß bereits nach einer Stunde Wintersport zwei der Mädchen feuchten Auges ihre halbierten Bretter betrachten.

Niemand hat Veranlassung, sich über Langeweile zu beklagen. Hubsi spielt Lagerboß. Er setzt den Tagesplan fest und verteilt alle verfügbaren Ämter und Aufgaben. "Bei der Verteilung der Arbeit hast du dich ja selbst ganz vergessen", nörgelt Helga, und sie hört die väterlich-wohlwollende Antwort: "Man soll dem Nachwuchs eine Chance geben".

Hannes der Urwuchs entwickelt als Zeitgeist sehr unterschiedliche Weckmethoden. Während er die Schlafsäcke der Jungen mit Schnee füllt, soll er bei den Mädchen mit Zuckerstückchen großen Erfolg haben.

Das Reich der Küche beherrscht Fuzi. Als erfahrener Jungenschaftler ist er im Kochen allen Mädchen überlegen. Nur unsere scharmante Ingrid darf ihm beim Abschmecken helfen; denn man sagt ihr nach, sie habe einen guten Geschmack. Das Essen gelingt fast durchwegs glänzend; nur einmal wird ein Sauerbraten mit Knödeln vom vorlauten Lutz als Holzkohle mit Fensterkitt bezeichnet.

Unser Schreiner Konrad macht Überstunden. Unermüdlich repariert er Skier, Schuhe und Bettgestelle.

*

Die Schiläufer stehen wohlausgerüstet auf dem Haushang und blicken voller gemischter Gefühle talwärts. .

Hannes der Erste, Schüler des großen Meisters Erich Kukuk, mimt gestrengen Skilehrer. Er präsentiert dem Volk elegante Bogen und Schwünge, und predigt ohne Unterlaß:
... "Weich in den Knie-een! ... Vor-lage! ... Weg vom Ha-ang! ... Ausstem-meeen! ..."

Kopfstand im Schnee

Rastloser Eifer erfaßt Skihaserln und Fortgeschrittene. Einige legen sich bei der Abfahrt so gewaltig in Vorlage, daß sie kopfüber in den tiefen Schnee tauchen und die Bretter anklagend zum Himmel strecken. Schmunzelnd fragt da ein vorbeistapfender Einheimischer: "Hanoi, wollet ihr Mäusle fange?"

Uta jedoch zieht die Backenbremse vor; bei dem geringsten beunruhigenden Anzeichen macht sie es sich auf der Bahn bequem und trainiert Aufstehen. Sofort wird Artur Benediktus von seiner Spielleidenschaft erfaßt und er schließt eine Wette ab: "Wenn Uta einmal sturzlos den Hang hinabfährt, stifte ich für jeden von euch eine Tafel Schokolade".
Soviel gute Ratschläge hat wohl noch nie eine Skifahrerin erfahren (wegen der Schokolade). Der Chor brüllt: „Vorlage!" Unglaublich -- Uta kommt heil den Hang hinunter und braust schwungvoll in den vorbeirauschenden Wildbach.

Bundesbahner Odo fährt so breitspurig wie seine Lokomotive; wenn er den Berg abwärts brummt, glaubt man, zwei nebeneinander fahrende Skifahrer zu erkennen.
Schußkaninchen Helga kann schließlich herrliche Bögli fahren, Fips begreift das Anhalten, Babsi und Tina erlernen den Gegenschwung -- aber der vielbeneidete Pistenheld ist und bleibt der lange Lutz, denn er beherrscht sagenhaft das Wedeln.

*

Auf dem Gipfel des Berges ist ein Holzstoß errichtet. Wir steigen empor, um vom alten Jahr Abschied zu nehmen; Mit dem Wind gleiten die Stunden und Tage des vergehenden Jahres an uns vorüber. Wir denken an die Sorgen und Mühen, die wir für die Gruppe aufgewendet haben, und an die Tage, an denen wir verzweifelt aufgeben wollten.

Der Holzstoß lodert auf. Der Feuerschein durchbricht die Nacht -- die großen Erlebnisse in unserer Gemeinschaft überstrahlen die dunklen Stunden des vergangenen Jahres. Wir blicken in die Runde unserer Kameraden und wissen, daß unsere Arbeit nicht vergeblich war.

Mit brennenden Fackeln begrüßen wir das neue Jahr. Wir nehmen das in unserem Kreise brennende Feuer in uns auf und sind entschlossen, es durch das ganze Jahr zu tragen. Wir reichen uns fest die Hände, besinnen uns dessen, was uns wert und heilig ist, und dann steigt ein Lied mit den Flammen in die Dunkelheit: "Wir stehen in der Runde ...“.

*

Primadonna Ingrid -- im ganzen Bundesgebiet bekannt durch ihren Ausspruch: "Mädelführerin bin ich!" -- zeigt sich von ihrer temperamentvollsten und einfallsreichsten Seite.

Die Hütte verwandelt sich in einen traumhaften Künstlerkeller, aus sanften Mädchen werden verführerische Ballettratten und aus friedfertigen Wächtern und Knappen grimmige Seeräubergestalten.

Kopfstand im Schnee

Renate und Rosi führen mit Bettlaken und Brotmesser eine blutrünstige Oper auf, schlanke Haremsdamen zeigen atemberaubende Bauchtänze, und eine amerikanische Girltruppe tanzt eine rasante Kreuzung aus Volkstanz, Boogie und Skilauftraining.
Genosse Norbert der Gelbe vollführt echte Kosakentänze, und Zeitungsboy Stoppel schreit mit großem Stimmaufwand die mordschweren Schlagzeilen seines Revolverblattes durch die Menge.
In ständiger Eile rast der Großfürst als Abführmittel-Reklamemännchen durch Haus und Hof.

Dann quellen heiße Takte aus Sepps Akkordeon, und beim Schein roter Kerzen wogen stimmungsgeladene Tanzpaare über den knarrenden Bretterboden.
Der Glühwein steigert den Blutdruck -- bald tobt eine wilde Polonaise durch die Räume, über Betten und Balkone, durch den Stall und schließlich hinaus in den tiefen, weichen Schnee zu einer erfrischenden Kneipkur.

*

Der schöne Achim bricht aus der Kampfgemeinschaft der Jungenschaftler aus; er bemüht sich lebhaft um die Gunst der reizenden Babsi. Seine alten Waffenbrüder sinnen auf Bestrafung.

Achim hat am letzten Abend ein unsicheres Gefühl. Lange bleibt er wach liegen, dann schläft er beruhigt ein. "Feiglinge", murmelt er noch.

Kurz nach Mitternacht huschen aus dem Zimmer im Dachboden drei gestreifte Schatten behutsam die windige Holztreppe hinab. Draußen heult unbändiger Schneesturm, das Gebälk ächzt unter der Schneelast.

Eine Tür fliegt auf, eine harte Faust preßt Achim ein nasses Handtuch zwischen die Zähne. Zwei lange, urkräftige Gestalten reißen ihn aus dem Bett und drücken ihn im Flur auf den Bretterboden.
Stoppel versteht sein Handwerk: eine ganze Dose schwarze Schuhkreme verbraucht er und er poliert mit leidenschaftlicher Hingabe, bis alles blank ist. Dann verschwindet der Spuk wieder in der Finsternis.

Achim, verzichtet am nächsten Tag bei der Heimfahrt großzügig auf seinen Sitzplatz.

= hubsi =

Dies alles geschah im Winterlager der SdJ Frankfurt/M. zwischen dem 26.12. und 6. 1. im Gunzesrieder Tal bei Sonthofen im Allgäu.

Überschrift
jetzt ist er gefunden, der Schnee,
und bis zum nächsten Sturz fahren sie in aufrechter Haltung über den verschneiten Hang



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